Mittwoch, 16. April 2008

mann verliert (sich in) frau

Mit keiner hat er so einen draufmachen können, wie mit ihr. Sie haben alles im Bett gemacht: Essen, quatschen, trinken und so weiter. Manchmal aber kriegt er neuerdings auch eine Mordswut auf sie, wenn ihn irgendetwas auf ihre Person bringt. Ich sah den Runzel an und dachte vor mich hin. Plötzlich fiel mir wieder ein, von wem er da redete. Ich hatte die Frau, mit der eine Saison lang liiert war, ein paar mal selbst erlebt. Langsam vergegenwärtigte sich mir wieder der Eindruck, den sie damals auf mich gemacht hatte. Nein, du meine Güte. Wie sie die Lippen allein beim Reden bewegte. Mein Gott! Das sagte alles, die brauchte es, hundertpro, aber nicht zu knapp. Für so eine reicht ein einzelner Handwerker doch gar nicht, hatte ich gedacht. Eher schon ein Fuhrwerker. Wie hat sie noch mal geheißen? Moment, sagte der Runzel, er hat sie wirklich sehr gemocht, aber ob ich ’s glaube oder nicht, auf ihren Namen, da kommt er jetzt einfach nicht. Er wollte nach seinem Bier greifen und griff daneben. Er hatte von den zwei Gläsern, die er scheint’s vor sich stehen sah, das falsche erwischt. Da schlug er sich jäh mit der herumirrenden Hand auf die Stirn: Ma-thil-da!! Genau, Mathilda, so hat sie geheißen. Ja. Natürlich. Mit einmal sah ich sie vor mir. Die tolle Thilda hatte ich sie damals dritten gegenüber genannt.Mir fiel jetzt ein, wie ich sie einmal im Englischen Garten von weitem auf einer Parkbank sitzen sah. Ich wollte zuerst auf sie zusteuern, blieb aber dann doch stehen und sah ihr eine Weile zu, ohne daß sie mich ihrerseits hätte sehen können. Ich dachte, meine Herren, bei der braucht ’s keinen Zoom, so groß kommt die noch rüber aus der Entfernung, so groß war sie auf meinem Monitor. Dann tat es plötzlich irgendwo in der Nähe einen gewaltigen Kracherer. Mir gingen vor Schreck die Augen zu. Als ich sie wieder aufschlug, war die Parkbank leer. Yes. - Der Runzel raufte sich die Haare und lachte: Yes. So war sie: auf unheimliche weise da - und nullkommanix weg. Yes. Die Mathilda war der heilige Wahnsinn. Einmal ist er mit ihr in eine Diskothek gegangen. Es war in einer lauen Sommernacht nach einem schwül drückenden Tag; das kenne ich doch, sagte er und schaute in meine richtung, ohne mich wirklich anzusehen, senkte dann gedankenverloren seinen Blick, so ein Tag, du kennst das, wo alle die Durchgeknallten, die sonst von der Bildfläche verschwunden sind, plötzlich aus irgendwelchen Löchern herausgespült und an diese gewissen zentralen Stellen in der Stadt geschwemmt werden und ihr unverständliches Zeugs ohne Adresse unter die Leute bringen; irgend so einen Text reden sie daher, bei dem sie wahrscheinlich irgendwann einmal in ihrem Leben ausgeklinkt sind und der von da an zyklisch wiederkehrt, immer gleich sinnlos. Ja, wie bei der WEISSEN FRAU, fiel mir ein. Die ist – bei Vollmond – auf den MARIENPLATZ gegangen und hat wildfremde Mädchen angesprochen. Mit immer ein und demselben Satz: Lydia, komm heim, das Essen ist fertig! Eine alte Frau, die sie seit langem kannte, hat ihm erzählt, sie war, es ist ein Jammer, einmal eine wirklich schöne, eine blühende Frau gewesen. Niemand wußte genau, ob sie je wirklich eine Tochter gehabt hatte, aber sie war wie auch immer in dieser ihrer Lydia gefangen. Ob tot oder nie existiert habend, das ist doch verrückt, sie war ihr Schicksal. Von einem Mann, der der Vater dieser Lydia hätte gewesen sein können, war auch nichts bekannt. Früher mußte sie eine Menge Liebschaften gehabt haben. Aber irgendwann hat sie nur noch schneeweiße Kleider getragen und sich das Gesicht nivea-weiß geschminkt. Männer haben sie von da an nicht mehr angerührt. Der Runzel schüttelte den Kopf. Was war jetzt eigentlich in dieser Sommernacht? Er war mittlerweile schon ziemlich besoffen, öffnete sich den Kragenknopf und machte Anstalten, sich das Bier über den Kopf zu gießen. Das war einer seiner Marotten im Suff – aber ich konnte das gerade noch verhindern. Er ließ sich widerstandslos das Bier aus der Hand nehmen und sagte, er muß aufwachen, hier und jetzt und überhaupt. Ich bestellte ihm einen Kaffee, den er schwarz und ohne Zucker trank. Wieder mußte er lauthals auflachen, fuhr sich durchs Haar und blies die Backen auf. Bah! Die Thilda, er sagt es mir, die war ein Teufelsweib. Auf der Tanzfläche ist er mehr gestanden, als daß er getanzt hat. Er ist nicht gerade der Tänzer. Er stand nur da, hörte auf die Musik und sah ihr zu. Wie eine orientalische Schlange, die aus dem Korb des Beschwörers hochsteigt, ist sie vor ihm tanzend immer größer geworden. Ich muß mir zum hämmernden Rhythmus einer typischen Diskothekenmusik dieser Zeit dazu noch diesen jeiernden arabischen Sound vorstellen. Unwillkürlich bekamen die Männer und Frauen auf dem Tanzboden dabei unnahbare Gesichter. Aber sobald man die Thilda anschaute, war klar, daß sie das Zentrum dieses Hochmuts war. Die Scheinwerfer und die Nebelmaschinen haben das noch unterstrichen. Alles schien auf sie gerichtet zu sein, aber sie kümmerte das nicht. In diesem Lichternebel hat sie sich über die Tanzfläche geschlängelt, und ihn, den Runzel, hat es bei ihrem Anblick geschüttelt, innerlich, er hat gedacht, was heißt gedacht, er hat es gesehen, wie es aus der Erde heraus brodelte und dampfte. Dort war der kochende Kessel, und hier war er, der Zuschauer. Das war eine aufregende UNTERSCHEIDUNG. Er hatte das unwiderstehliche Gefühl, ohne ihn, den Zuschauer, wäre alles nichts. Irgend so ein pechschwarzer Typ, der aussah wie ein Filmzigeuner, fing Feuer und tanzte in einer ekligen, nachgemachten, schalen Trance zur Thilda hin. Immer näher. Sie wich keinen Zentimeter zurück. Sie hatte so ein ganz einfaches weißes Sommerkleid an, das aber in dem Lichterspiel der Diskothek nichts mehr verbarg. Der Paradezigeuner und die Thilda haben eine morgenländische Schlangentarantella hingelegt, so unecht, so künstlich, so falsch, daß einem schlecht werden konnte, trotzdem oder gerade deswegen war das eine aufreizend fiebrige, schmerzhaft geile Aufführung für ihn, so, als würde das große Kotzen und der pure Sex in einem aufgeführt werden. Ich litt jetzt mit dem Runzel richtig mit: Und dann ist diese Schlange mit dem Zigeuner abgezogen? Nein, das war ja das Verrückte! Er, der Runzel, stand schweißgebadet in einer Ecke, direkt neben einem riesigen Lautsprecher, er wußte gar nicht, warum er so zitterte, ob es der hämmernde Baß aus der Box war oder ob es nur seine Nerven waren, die verrückt spielten. Plötzlich löste sich die Thilda von dem gelackten Zigeuner, warf die rot gefärbten Haare zurück und lächelte gespielt eiskalt. Er sagt’s mir: Eeeklig! Der Zigeuner verzog nicht eine Miene, drehte sich um, setzte sich irgendwo hin, kämmte sein fettglänzendes, pechschwarzes Haar und tupfte sich mit einem weißen Tuch das sonnenstudiobraune Gesicht ab. Der Runzel wischte sich mit der flachen Hand den Schweiß von der Stirn und rieb sie sich dann an seinem Hemd ab. Nachgelaufen ist er ihr, obwohl er dachte, hau ab, verschwind, bevor ’s zu spät ist! Er hat sie noch am Josephsplatz erwischt. Zwischen all den Opernbesuchern, die sich in der Gegend umtrieben, rief er sie beim Namen, und sie drehte um und schrie ihrerseits über zirka zehn Lodenmäntel hinweg, daß sie mit ihm jetzt einen Ordentlichen saufen möchte. Er hatte bei sich gedacht, als er so sie aus der mittleren Distanz unter all den Leuten entdeckt hatte, sie lügt, immer, egal, was sie sagt oder tut, sie lügt hammerhart, eingefärbt rothaarig, wie sie ist, und trotzdem, es ist verrückt, sie ist wahrer als irgend jemand sonst unter der Sonne. Er war einfach verrückt nach ihr. ...
aus DON COJOTE von sasserak (1990)

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